Suchtfalle Lebensmittel – Wie hochverarbeitete Produkte unser Essverhalten manipulieren
- Hildegard Frühwirth
- 18. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Laut Studien erfüllt ein großer Teil der hochverarbeiteten Lebensmittel die Kriterien der Yale Food Addiction Scale, die zur Diagnostik von Esssucht verwendet wird. (Ratten bevorzugten in Versuchen stark gezuckerte/fettige Nahrung sogar gegenüber Kokain). In westlichen Industrieländern stammen bis zu 50–70 % der Energiezufuhr aus hochverarbeiteten Lebensmitteln (UPF).

Wie machen hochverarbeitete Lebensmittel süchtig?
1. Belohnung durch Geschmack
Industrielle Lebensmittel werden gezielt so konzipiert, dass sie besonders schmackhaft sind. Sie kombinieren Zucker, Fett, Salz, intensive Aromen und angenehme Konsistenzen. Das aktiviert unser Belohnungssystem im Gehirn (Dopamin), ähnlich wie bei Drogen. Die Folge: Wir wollen mehr – auch ohne Hunger.
2. Ausschalten von Sättigungssignalen
Hochverarbeitete Produkte sind oft sehr kalorienreich bei kleinem Volumen, arm an Ballaststoffen, flüssig oder cremig, was die Magenfüllung reduziert.
Das macht es schwer, ein natürliches Sättigungsgefühl zu entwickeln.
3. Veränderte Essgewohnheiten
Verpackung, Werbung, Verfügbarkeit und Geruch dieser Produkte führen dazu, dass wir sie essen, weil sie da sind – nicht weil wir Hunger haben. Das kann auf Dauer dazu führen, dass wir die Fähigkeit verlieren, auf echte Körpersignale wie Hunger und Sättigung zu achten.
4. Entzugssymptome
Ein Verzicht auf stark verarbeitete Produkte kann zu Reizbarkeit, Heißhunger, Kopfschmerzen oder Unruhe führen – ähnlich wie beim Entzug anderer Suchtstoffe.
Die NOVA-Klassifikation
ist ein System zur Einteilung von Lebensmitteln nach ihrem Verarbeitungsgrad. Sie wurde 2009 von der Universität São Paulo entwickelt und unterscheidet vier Gruppen. Eine verpflichtende Deklaration für die Lebensmittelindustrie ist leider derzeit noch nicht durchsetzbar! Eine solche würde den Konsumenten klarer informieren, ob es die Kaufentscheidung nachhaltig beeinflussen würde, sei dahin gestellt. Siehe rauchen und Zigarattenverpackung!
1. Unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel
Frisches Obst, Gemüse, Nüsse, Eier, Milch, Fleisch, Getreide
2. Verarbeitete Zutaten
Öle, Zucker, Salz – aus natürlichen Lebensmitteln gewonnen
3. Verarbeitete Lebensmittel
Brot, Käse, Konserven – meist wenige Zutaten, z. B. Salz oder Öl zur Haltbarmachung
4. Hochverarbeitete Lebensmittel (Ultra-Processed Foods/UPF)
Fertiggerichte, Snacks, Süßwaren, Softdrinks – industriell hergestellt, oft mit Farb-, Aroma-, Konservierungsstoffen.
Insbesondere Gruppe 4 steht in der Kritik – und im Verdacht, süchtig zu machen.
Wege aus der Suchtfalle
1. Zurück zur echten Nahrung Frisch kochen mit natürlichen Produkten (NOVA 1 und 2)
2. Etiketten lesen
Vorsicht bei langen Zutatenlisten, vielen E-Nummern, „aromatisiert“ oder „instant“
3. Geschmackssinn resetten
Mit natürlichen Aromen, echten Gewürzen und Zeit zum Genießen
4. Rituale und Achtsamkeit
Bewusst essen, langsam kauen, ablenkungsfrei
Fazit
Die moderne Lebensmittelindustrie hat es geschafft, Produkte zu entwickeln, die unsere biologischen Systeme austricksen. Doch mit Wissen, Bewusstsein und einfachen Veränderungen im Alltag lässt sich der Weg zurück zu einer natürlichen und gesunden Ernährung finden.
Denn wahre Zufriedenheit entsteht nicht durch Reizüberflutung – sondern durch echte Nahrung.
Literaturtipp
Dr. Shird Schindler, Dr. Iris Zachenhofer – Raus aus der Suchtfalle Lebensmittel- ISBN: 978-3-99001-722-7

NOVA und Kollath – Zwei Perspektiven auf die Verarbeitung von Lebensmitteln
NOVA-Klassifikation (ab 2009, Brasilien)
- Fokus: Grad der industriellen Verarbeitung
- Einteilung: 4 Gruppen (von naturbelassen bis hochverarbeitet)
- Kriterium: Zutatenliste, Zusatzstoffe, Herstellungsprozesse (z. B. Extrusion, Aromatisierung)
- Ziel: Ernährungspolitik, öffentliche Gesundheit, Warnung vor industriellen Produkten
- Stärken: international einsetzbar, konkret, auf moderne Produkte zugeschnitten
Kurz: Was wurde dem Lebensmittel durch die Industrie „angetan“?
Kollath-Tabelle (ca. 1940er Jahre, Deutschland)
- Fokus: biologischer Wert durch Verarbeitung
- Einteilung: 6 Gruppen (roh – stark denaturiert)
- Kriterium: Zerstörung der Vitalstoffe durch Hitze, Druck, Lagerung, Konservierung
- Ziel: Orientierung für vollwertige, vitalstoffreiche Ernährung
- Stärken: betont ernährungsphysiologische Qualität, ideal für naturheilkundliche und ganzheitliche Betrachtungen
Kurz: Wie stark ist das Lebensmittel noch „lebendig“ bzw. vitalstoffreich?
Unterschiede der beiden Klassifizierungssysteme am Beispiel Brot
| Lebensmittel | NOVA | Kollath |
|--------------|------|---------|
Frisches Sauerteigbrot vom Bäcker (Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig) | Gruppe 3 (verarbeitet) | Gruppe 4 (mäßig denaturiert) |
Toastbrot mit Emulgatoren, Enzymen, Zuckercouleur | Gruppe 4 (hochverarbeitet) | Gruppe 5–6 (stark denaturiert) |
Selbstgebackenes Vollkornbrot | Gruppe 3 |Gruppe 3–4 |
Fazit zur Ergänzung
- NOVA hilft bei der Einschätzung der Industrielastigkeit eines Produkts.
- Kollath zeigt, wie vitalstoffreich ein Lebensmittel nach der Zubereitung noch ist.
- Gemeinsam geben beide Systeme eine fundierte Grundlage, um die Qualität und Gesundheitswirkung unserer Nahrung besser beurteilen zu können.
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